fabula vaporis – Kap. 55

Giada hatte schon einen Plan im Kopf, wie sie den Ilaner ausschalten könnten, der hinter ihnen her ging und sie mit dem Maschinengewehr vorantrieb. „Sagen Sie mal“, warf das Mädchen ein. „Was ist eigentlich die Aufgabe eines Ilaners?“

     „Das geht dich überhaupt nichts an, Mädchen“, keifte er zurück.

„Dann erzählen Sie uns doch wenigstens, wie die Ilaner erschaffen wurden“, schlug Caitlin nun vor, die Giadas Plan erkannt, verstanden, analysiert und abgewogen hatte. „Dann sterben wir nicht dumm.“ – „Das weiß ich selber nicht mal…“ Der Ilaner stutze und blieb stehen. Während er kurz überlegte, wie er den Satz vollenden könnte, ließ er das Maschinengewehr in seiner Hand sinken. Auf diesen Moment hatte Giada gewartet. Das einzige, was der Ilaner noch spürte, war der Lauf des Maschinengewehr an seinem Hals und dann der Schuss, der ihm in den Ohren dröhnte. Daraufhin kippte er tot zu Boden. „Gut“, sagte Caitlin. „Das hätten wir. Ich würde vorschlagen, dass wir ganz schnell ’ne Biege machen. Den Schuss hat man mit Sicherheit gehört.“ – „Wohin?“, fragte Carry, während sie neben den anderen herlief, die sich sofort nach Caitlins Beschluss in Bewegung gesetzt hatten. „Ich würde sagen, dass wir unseren alten Plan wieder aufgreifen“, rief Giada von hinten. „Und in die Eingangshalle rennen.“ Die Controller waren an der Treppe angelangt und rannten sie hinunter. Sie kamen in das Erdgeschoss des Außenflügels, das auch zugleich die erste Etage bildete. Rechts ging es in die große Halle.

     „Wo ist Acia?“, fragte Josh leise.

     „In der Eingangshalle“, erwiderte Caitlin.

     „Und wo da?“, erkundigte sich Dillion fahrig.

„Sie steht neben der großen Treppe hinter einem Pfeiler. Frag mich nicht, wie sie es dahin geschafft hat. Wartet… Jetzt könnt ihr sie auch sehen.“ Acia sprang hinter der Säule hervor und setzte sich auf die Treppe. Themma und Androma redeten immer noch miteinander, die anderen Concordiatoren hatten die Halle verlassen und sich vor dem Tor postiert oder irgendwo im Innenhof verteilt. Themma hatte zudem befohlen, dass die drei Ilaner, die in der Halle am Tor Wache geschoben hatten, den Concordiatoren folgen sollten, sodass die beiden Frauen allein waren. „Los, los, los!“, rief Carry leise und schlich sich in die Halle, die anderen vor sich hertreibend, wie eine Schafsherde. „Sonst macht Acia noch eine Dummheit…“ Aber es war schon zu spät. Acia hatte den Mund aufgemacht und angefangen zu reden. Themma drehte sich mit einem wütenden, aber auch angstvollen Blick um und starrte das Mädchen an, das auf der Treppe saß und sie feindselig anlächelte. Die anderen Controller bemerkte weder die Kanzlerin noch Androma. Nur Acia entging nicht, dass sich ihre Freunde in die Eingangshalle geschlichen hatten und vor dem Tor Posten bezogen. Alle Controller sahen nun die beiden Frauen an, die in der Mitte des Saals standen. „Hallo, Themma Tighhoor“, sagte Acia kalt und erhob sich. Sachten Schrittes kam sie die Treppe herunter.

     Themma wandte sich nun gänzlich dem Mädchen zu.

Androma wusste nicht, was sie tun sollte, aber als sie sich zum Tor drehte und Giada erblickte, schienen ihre Augen vor Bosheit Funken zu sprühen. „So sieht man sich wieder, Giada Fortras“, zischte Androma und kam auf sie zu. Giada grinste ironisch. „Ganz genau, Androma Carila.“

     Acia gegen Themma.

     Giada gegen Androma.

Aber Josh wusste nicht, auf wessen Seite er sich stellen sollte. Auch Dillion, Caitlin und Carry waren unschlüssig, was zu tun war, um beiden Controllern gerecht zu werden. In der Mitte des Saals hatte Themma Tighhoor einen Stab aus Granit beschworen, der aus dem Boden gewachsen war. Eine blaue Kugel hatte sich an der Spitze des Stabs gebildet und hielt ihn so am Leben, und sorgte dafür, dass der Stab nicht so leicht zerfiel. Ein Stab ließ seinen Beschwörer, nach Themma, mächtiger aussehen – und zeigte eine Autorität und Macht, die den Gegner vor Angst zurückschrecken ließ. Acia versuchte, sich den Angriffen der Kanzlerin zu widersetzen und ihnen auszuweichen. Themma ließ den Stab in regelmäßigen Abständen auf den Boden krachen und erzeugte damit in Acias Richtungen, Detonationswellen, die das Mädchen immer wieder von den Füßen rissen. Irgendwann blieb Acia liegen. Themma warf den Stab beiseite und er ging dahin, wo er hergekommen war. Dann trat die Frau an das auf dem Boden liegende Mädchen heran und stellte sich vor ihre Füße.

     Auf sie herabblickend sagte Themma: „Du bist so naiv.“

     „Danke“, keuchte Acia. „Möchten Sie mit mir reden, oder mich gleich umbringen?“

     „Ich denke, dass ich dich nicht gleich umbringen werde“, gestand Themma.

„Dieselbe Schwäche, wie auch bei Tammo“, erwiderte Acia boshaft und starrte die Kanzlerin feindselig an. Themmas Blick wurde hart. Dann klatschte sie einmal in die Hände und kühle Luft umspielte ihre Handflächen, die sie gen Hallendecke gestreckt hatte. „Das wird dir leid tun“, murmelte Themma mit einem unheilvollen Unterton in der Stimme. Auf der anderen Seite der Eingangshalle standen sich Giada und Androma schon geraume Zeit gegenüber und sahen sich einfach nur an. „Du hättest einfach nur ‚ja‘ sagen müssen, Giada“, sagte die Concordiatorin nach Minuten banger Stille. Giada hatte mitbekommen, was Acia passierte, und gab den vier anderen Controllern ein knappes Zeichen, das Androma nicht bemerkte. Josh, Dillion, Caitlin und Carry verstanden aber und schlichen sich an Themma heran. Androma lächelte listig, als sie bemerkte, was die Kinder hinter ihrem Rücken taten. Wenn ein anderer Themma Tighhoor beseitigte, war sie einerseits ihre Freundin endlich los – und keiner könnte ihr die Schuld in die Schuhe schieben. Zufrieden fuhr Androma fort und redete weiter auf Giada ein.

     „Aber du hast dich für Acia Merchant entschieden.“

„Aus gutem Grund“, versetzte das Mädchen. „Weil du und deine Anhänger nie etwas erreicht habt. Und außer dem Großbrand im Innenring habe ich nichts von euch mitbekommen. Deshalb“, Giada trat an Androma heran und senkte die Stimme, „solltest du schleunigst verschwinden. Sonst hast du nicht mehr lange zu leben.“

     „Warum willst du mich umbringen?“

„Weil du meine Schwester umgebracht hast!“, schrie Giada und stürzte sich auf die Concordiatorin. Androma reagierte einen Augenblick zu langsam. Der Stoß, den Giada der Frau versetzte, warf diese um und sie landete hart auf dem Rücken. Das Mädchen drückte den Brustkorb der Frau mit einem Fuß zusammen. „Das Messer habe ich lange aufbewahrt. Und nur für diesen Moment!“ Giada hatte ihre Stimme wieder gesenkt und hielt das Messer in die Höhe, das sie aus einer Innentasche ihrer Jacke gezaubert hatte. Andromas Gesicht wurde eine Spur blasser. Sie erkannte diese Klinge. Eben jenes Messer, mit dem sie Elain Fortras ermordet hatte. Bewiesen war dies nie, da die Leiche nicht gefunden wurde, aber das war oft so in Circur. Je weniger Leichen, desto weniger Aufruhre.

     „Sie war es selber Schuld“, rief die auf dem Boden liegende Frau verzweifelt.

„Nein“, sagte Giada entschieden und hielt das Messer mit der Klinge nach unten direkt über Andromas Brustkorb. Giada ließ los. Das letzte, was Androma von sich gab, war ein leises „Vergib mir, Schwester“, dann starb sie. Und Giada weinte.

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