fabula vaporis – Kap. 40

Sie schlug die Hände wütend gegen den Türrahmen. Dann wuchs ein Podest aus dem Boden hinter ihr und füllte sich mit Wasser. Dann drehte Themma Tighhoor sich um und starrte in das Wasserbecken. Aus der Pfütze in der Schale schwebte eine Elementkugel und die Sicht in ihr klarte auf. Themma erblickte einen schmutzigen braunen Wasserfall und daneben neun Gestalten, die eine Leiter, die in die sehr hart wirkende Erde geschlagen worden war, hinaufkletterten. „Was macht ihr da?“, fragte Themma sich selbst und mit einer schwungvollen Geste wurde das Bild in der Elementkugel größer. „Wo wollt ihr hin…?“, murmelte Themma und verfolgte die Controller mit dem Bild in der Kugel. Sicher würden sie Master Mors bald erreichen. Und dann war Themma endlich die größte Macht Circurs zu eigen. Die Controller – das konnte Themma von nun an beobachten – kletterten weiter die Leiter hinauf und bald schon hatten sie den Rand erreicht. Neben ihnen sprudelte ein kleiner Bach entlang, der zu dem großen, breiten Wasserfall keineswegs zu passen schien. Die neun Kinder folgten dem Wasserlauf durch eine große Ödnis von Steinmegalithen und schimmeligen Pilzen, die den Weg mit ihrem fluoreszierenden kühlen Licht erhellten. Acia hatte die Arkana längst wieder in ihrer Jackentasche verstaut, sodass die leuchtenden Schmarotzerpflanzen gerade recht kamen.

Die Halle war schier endlos. Die Masse der leuchtenden Pilzkulturen nahm immer mehr zu und bald schon leuchtete die ganze Halle in nicht mehr als hundert verschiedenen bunten Farben, die aber alle von einem gräulichen Dunst ausgeblichen wurden und nur einen kalten, beinahe grauen, Lichtkegel warfen. Doch waren die Farben der einzelnen Pilze noch so gut zu erkennen, das die neun Kinder sich vorkamen, als ob die Händler ihre Stände an der Äußeren Grenze aufgebaut hätten und die Lichterketten, die sich von Stand zu Stand spannten, bunte flackernde Kegel warfen. Die Controller sprachen wenig miteinander. Es gab aber auch nichts, was des Sagens wert gewesen wäre. Und dann war da dieser helle Fleck in der Ferne, der mit jedem Schritt größer wurde. Eine weiße Feuerwand baute sich vor den Kindern auf. Knistern zogen sich die Flammen von unten nach oben. Und jetzt? Wasser? Wie kommen wir dadurch?, fragte ein Arkanum in den Köpfen der Kinder und erhielt eine Antwort, die nicht vom Arkanum des Wassers zu kommen schien. Wir können hindurch gehen…, schlug das Arkanum des Feuers vor.

„Ich denke, dass Feuer Recht hat“, erwiderte Giada und stapfte voran. Indesse waren die Arkana in vehementes Gespräch vertieft, bei dem es um die Feuerwand und dasjenige, was dahinter lag, ging. Die Köpfe der Controller fühlten sich voll an, als die Stimme hindurch schwirrten. Erst, als Jason laut „Halt!“ schrie, besannen sich die Arkana eines besseren und schwiegen wieder. „Es tut gar nicht weh“, sagte da Iris in den Köpfen der Kinder. „Ich spüre es nicht… Kommt!“ Acia sah die anderen an, dann folgte sie Giada jedoch und trat durch das weiße Feuer. Sie spürte keine Hitze, nicht einmal Kälte oder ein anderes Gefühl. Ihr Kopf fühlte sich leer an, im Gegensatz zu vorhin, wo die Arkana in ihrem Kopf heftig diskutiert hatten.

    „Ich spüre nichts“, murmelte Acia und lauschte. War das ihre Stimme gewesen?

    Tatsächlich. Sie wiederholte den Satz und ballte die Hände zu Fäusten.

    Sie hatte ihre Stimme gehört. Und in ihrem Kopf wahrgenommen.

Als sie die Feuerwand passiert hatten, standen die neun Controller am Rand des Abgrunds, der die Lebenden von den Toten trennt. In der Tiefe rauschte ein lauter Fluss mit seiner reißenden Strömung dahin. Und über der Felsspalte, hoch oben in der Finsternis, zogen die Ragami ihre Kreise. Noch hatten die Todesengel nicht die Anwesenheit der Kinder bemerkt. Aber es würde nicht mehr lange dauern. „Was machen wir jetzt?“, fragte Dillion, der an den Rand des Grabens getreten war. Seine nun wieder hörbare Stimme war ganz leise, fast ein Wispern.

    „Wir können springen“, sagte Caitlin. „Der Graben ist maximal zwei Meter breit.“

    „Und wenn die uns bemerken?“, fragte Jesse laut.

    „Das haben sie bereits“, erwiderte eine dunkle kratzende Stimme, die einem Ragami gehörte, der auf den Namen Dvôrak hörte. Der Ragami stieß einen lauten tiefen Pfeifton aus und seine Artgenossen hörten auf an der Höhlendecke zu kreisen und glitten sanft auf ihren befiederten Schwingen herab.

     „Was wollt ihr jetzt machen?“, dröhnte Dvôrak. „Wir wollen in die Unterwelt“, erwiderte Acia kühl. „Und daran können weder Sie noch ihr Federvieh uns von abhalten!“ Das Mädchen wandte sich zu ihren Freunden um und flüsterte ihnen etwas zu. Dann drehte sie sich wieder zu Dvôrak. Die anderen Ragami hatten sie schon sehr nah eingekreist, sodass eine Flucht nicht mehr möglich gewesen wäre.

     „Acia“, flüsterte Jason, der am nächsten zu dem Mädchen stand. „Dein Plan geht nicht auf!“

     „Doch“, entgegnete das Mädchen. „Das tut er. Vertrau mir!“

     „Na gut. Aber dann mach schnell, denn sonst ist es zu spät!“

„Ihr kommt hier nicht weiter!“, brüllte Dvôrak in Erinnerung dessen, was die Kanzlerin einigen Ragami angetan hatte. „Ich verlange Tribut!“ – „Jetzt!“, schrie Acia und die neun Kinder rannten los. Alle auf den einen Ragami, der den Weg zum Graben blockierte. Die Rechnung ging auf: Der Ragami flog erschrocken nach oben und der Weg war frei, sodass die Controller sofort auf den Rand zu rannten und sprangen. Denjenigen, die gut klettern konnten, bereitete es nicht allzu große Schwierigkeiten, die Kluft zu überwinden, nur ein paar der Kinder schafften es nicht, den gegenüberliegenden Rand zu erreichen und rutschten ab, aber da waren auch schon helfende Hände bereit und halfen ihnen, nach oben zu klettern. Dvôrak tobte und erhob sich in die Luft. „Lauft!“, schrie Acia. „Bleibt stehen“, brüllte Dvôrak mit sonorer Stimme durch die Halle. Doch die Controller dachten nicht daran und folgten Caitlin, die den Weg und das Tempo vorgab.

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