fabula vaporis – Kap. 8

Der eiserne Deckel wurde geöffnet, dann fielen die Scherben klirrend in den Mülleimer. Josh stellte den Besen und die Kehrschaufel wieder dahin, wo sie hin gehörten und setzte sich auf die Küchenzeile. „Und? Sollen wir jetzt gehen oder nicht?“ – „Wenn du willst“, sagte Carry gedehnt. „Von mir aus können wir zu den verbotenen Tälern gehen.“ – „Gut!“ Josh sprang von der Küchenzeile herunter und sah seinen Bruder an. „Du auch?“ – „Aber klar! Das lasse ich mir sicher nicht entgehen!“

Die Haustür öffnete sich und in die sengenden Mittagshitze traten drei Kindern. Ein Mädchen mit roten lockigen Haaren und zwei Jungen mit braunen Haaren. Sie schlugen den Weg in Richtung Inneres Nordviertel ein, da hier die Einstiegswege in die städtische Kanalisation nicht so streng bewacht wurden, wie in den Äußeren Viertel. Die Ilaner verhafteten jeden, der sich illegalen Zutritt zu Orten verschaffte, die nicht zu seinem persönlichen Nutzen seien. Und verhaftete Menschen wurden der Kanzlerin vorgeführt. Die Strafen waren nüchtern bis grausam; das Beste war immer noch, einfach in den Kerker gesteckt zu werden. Am schlimmsten waren die Folterstrafen, die Themma Tighhoor gerne verhängte. Zwei lange Wochen lag man im Kerker und wurde bis aufs äußerste zusammengeschlagen oder noch schlimmer. Manche Menschen konnten nach der Folter weder sehen, hören, tasten, schmecken noch riechen. Andere wiederum bekamen langsam ihr Blut durch Quecksilber ersetzt, was zu einem qualvollen Tod führte. Wer sich kein Leid anmerken ließ, dem wurden die alle Knochen in einer schwierigen Operation durch Kupferdrähte ersetzt. Die darauffolgende Anämie führte schon nach wenigen Tagen zum Tod. Wer sich den Strafen wiedersetzen wollte und über die Äußere Grenze fliehen wollte, hatte nicht mehr lange zu leben, zumal die Grenze auch von unzähligen Ilanern bewacht wurde. Der Eintritt in die Kanalisation konnte demzufolge zu Tod führen.

Die drei trabten durch die Innenstadt. Mittlerweile waren nicht mehr ganz so viele Menschen auf den Straßen Circurs, da die Mittagszeit viele Menschen in die Wirtshäuser oder an andere schattige Orte getrieben hatte. Die sengende Hitze wurde von dem ganzen Metall und Kupfer reflektiert, sodass die Temperatur schon die vierzig Gradmarke erreicht hatte. Und die Hitze stieg rasend schnell. An anderen Tagen waren hier bis zu fünfundvierzig Grad angesagt. „Wollen wir nicht mit ’ner Gondel fahren? Ich kann nicht mehr…“, stöhnte Carry, der der Schweiß schon in Strömen das Gesicht herunterlief. „Wir sind einstimmig dafür“, sagte Jesse.

Sie kamen an einen hohen Glasturm. Die drei erklommen die metallenen Treppen, bis sie ganz oben angekommen waren. Die Aussicht war wundervoll, einmal abgesehen von den brüllenden Fabrikschloten, die unentwegt ihre Abgase in die Luft pusteten. Schon bald darauf kam der vertraute sirrende Ton, der die Ankunft einer Gondel ankündigte. Der kupferne Draht wurde von blauen kleinen Funken umtanzt, da die Spannung hier sehr hoch war. Einige anderen Menschen warteten ebenfalls auf die Ankunft der Gondel, die sie nach Hause bringen würde. Eine von ihnen war Mrs Leonard, die Josh erkannte und auf ihn zu gerannt kam. „Mein Junge, was machst du denn hier? Wie ich sehe, hast du deinen Bruder und Carry mitgebracht… Nein, was für eine Überraschung. Und? Was habt ihr für Pläne heute Nachmittag? Ihr könnt es mir ruhig sagen… ich plaudere nicht so schnell etwas aus…“ Alle wussten, dass das gelogen war. Bei einem ihrer Kaffeekränzchen erzählte Mrs Leonard allen Anwesenden, die es hören oder nicht hören wollten, was sie so in der Stadt aufgeschnappt hatte. Sie ließ keinen der drei zu Wort kommen und erst als die Gondel kam, brüllte Mrs Leonards Tochter, dass ihre Mutter endlich kommen sollte.

„Sollen wir die nächste nehmen?“, fragte Jesse flüsternd. „Ich habe keine Lust auf das Gequatsche von der alten Schachtel!“ – „Ich stimme dir voll und ganz zu“, stöhnte Carry, der die Frau auf die Nerven ging. Josh hielt sich daraus, da er dem Wortschwall, den Mrs Leonard ständig von sich gab, sowieso nicht zuhörte.

Die Türen der Gondel öffneten sich zischend, gefolgt von einer Dampfwolke. Das Glas, das die Aussicht ermöglichte, beschlug sofort. Kalte Luft wehte den drei Kindern ins Gesicht, da die Gondeln zunehmend gekühlt wurden, damit die Fahrten angenehmer wurden. Einige Menschen starben zwar, als sie wieder in die Hitze traten, aber das geschah so selten, dass immer mehr Gondeln mit einem Kühlsystem ausgestattet wurden.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s